Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2011, 1

Verfasst von: Hans Hecker

 

Reginald E. Zelnik Perils of Pankratova. Some Stories from the Annals of Soviet Histori­ography. Seattle, London: University of Wash­ington Press  2005. XIV, 137 S., 3 Abb. = Don­ald W. Treadgold Studies on Russia, East Europe, and Central Asia. ISBN: 0-295-98520-8.

Reginald E. Zelnik (1936–2004) wirkte nach seinem Studium an der Princeton und der Stan­ford University und kurzer Tätigkeit an der In­diana University, Bloomington, seit 1964 an der University of California, Berkeley. Ihm ist die­ser schmale Band gewidmet, in dem fünf Auto­rinnen und Autoren ein eindringliches Bild des engagierten, weitherzigen und aktiven Lehrers und Campusmenschen „Reggie“ zeichnen. Das wissenschaftliche Interesse des bekannten und beliebten, mit vielen Preisen und Gastprofessu­ren ausgezeichneten Professors für russische Geschichte galt der Geschichte der Arbeit, ge­nauer: der Arbeiter in Russland und ihrer Le­bensverhältnisse. Wenn er danach fragte, „how things seemed“, dann war dies nicht der vor­weggenommene Ansatz der aktuellen dekon­struktivistischen Mode, sondern der Ausgangs­punkt, von dem aus er den Dingen mit den Me­thoden geschichtswissenschaftlicher Analyse auf den Grund ging.

Im Mittelpunkt des Bandes steht Zelniks letzter Essay, der von Yuri Slezkine für den Druck aufbereitet wurde. Dass er dort Leben und Wirken von Anna Michajlovna Pankratova (1897–1957), der wohl bedeutendsten sowjeti­schen Historikerin, mit großer Kenntnis und Empathie beschrieb und analysierte, war zu­nächst in der thematischen Nähe ihrer For­schungen begründet. Ihn beeindruckte es, mit welcher Zielstrebigkeit Pankratova ihren Plan einer großen Geschichte der Arbeit verfolgte und allen Widrigkeiten zum Trotz durchsetzte. Dann aber rückte für ihn die Art und Weise in den Vordergrund, mit der diese Frau die vielfäl­tigen Widrigkeiten – die „perils of Pankratova“ – mit einer Mischung aus Grundsatztreue und Anpassung an unausweichliche Anforderungen durchstand. Für die Ehefrau eines Mannes, der unter Stalin dem Verdikt des „Trotzkismus“ verfiel, und anhängliche Schülerin Pokrovskijs, des 1934 nach der sowjetpatriotischen Umori­entierung der Geschichtswissenschaft verfemten Begründers der „marxistischen“ Spielart von Geschichtsschreibung, ging es um nicht mehr und nicht weniger als um das Überleben. In diesem Sinne interpretiert Zelnik z.B. die Angriffe, die Pankratova in den Jahren 1938–1940 gegen ihren Lehrer richtete, als er schon lange tot war und sie niemandem damit schaden, nur sich und ihre Tochter retten konnte. Sie entging nicht der Verbannung nach Kasachstan, machte aber mit ihren Arbeiten zur kasachischen Geschichte auch daraus das Beste. Den von Deutschland aufgezwungenen Krieg nutzte sie, um sich durch ihre patriotische Haltung und entsprechende Publikationen zu rehabilitieren. Eine gewisses Staunen kommt zum Vorschein, wenn Zelnik der Historikerin, die stets ihre absolute und ausschließliche Loyalität gegenüber der Partei beteuerte, bescheinigt: „Pankratova truly had nine lives.(S. 48) In seiner abschließenden Bemerkung setzt Zelnik sich nicht aufs hohe Ross, wie manch einer, der in gesicherten Verhältnissen lebt, zu tun beliebt, sondern urteilt keineswegs entschuldigend, sondern lebensnah: „I think, we should imagine her as neither devil nor angel, but as someone who did some harm and also much good as she tried to steer a course through the rough seas of Soviet life in a world she could never have imagined as a school­girl in Odessa“. (S. 66) Dieser Essay vermittelt exemplarisch eine eindringliche, nüchterne Vorstellung vom bewegten Leben einer Historikerin unter den schwierigen Verhältnissen der Sowjetunion unter Stalin bis zur „Entstalinisierungs“-Kampagne Chruščevs – eine nicht zuletzt in der abwägenden Urteilsbildung lehrreiche, auch für universitäre Lehrveranstaltungen empfehlenswerte Lektüre.

Hans Hecker, Düsseldorf

Zitierweise: Hans Hecker über: Reginald E. Zelnik Perils of Pankratova. Some Stories from the Annals of Soviet Historiography. University of Washington Press Seattle, London 2005. XIV.= Donald W. Treadgold Studies on Russia, East Europe, and Central Asia. ISBN: 0-295-98520-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Hecker_Zelnik_Pankratova.html (Datum des Seitenbesuchs)

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