Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Heidi Hein-Kircher

 

Isabelle Davion: Mon Voisin, cet ennemi. La politique de sécurité française face aux relations polono-tchéchoslovaques entre 1919 et 1939. Bruxelles, Bern, Berlin [usw.]: Lang, 2009. 472 S., 4 Abb. = Enjeux internationaux, 4. ISBN: 978-90-5201-496-8.

Frankreich als „Erbfeind“ Deutschlands betrieb in der Zwischenkriegszeit eine dementsprechende Außenpolitik. Dies gilt auch in Hinsicht auf die Nachbarn Deutschlands im Osten, Polen und Tschechoslowakei, die ihrerseits bestrebt waren, sich gegen deutsche revisionistische territoriale Ansprüche zu wappnen. Zentrale Triebfeder für sämtliche diplomatischen Aktionen war daher letztlich das Ziel, Deutschland zu schwächen. Hierbei unterlag Frankreich der Vorstellung, die Führung in dem Dreieck zwischen Paris, Warschau und Prag innezuhaben.

Zu zeigen, dass diese Vorstellung sich aufgrund des unüberwindbaren polnisch-tsche­choslowakischen Gegensatzes nicht realisieren ließ und so die französische Ostmitteleuropapolitik in der Zwischenkriegszeit zum Scheitern verurteilt war, ohne dass die französischen Akteure dies wirklich erkannten, ist Anliegen der vorliegenden, gekürzten Pariser Dissertation. In der Studie wird deutlich, dass das Teschener Gebiet letztlich der wichtigste Grund für das Scheitern der französischen außenpolitischen Ambitionen war. Denn es wurde nach einer gewaltsamen Annexion durch die Tschechoslowakei, die die prekäre Situation Polens im Krieg mit der Roten Armee 1919 nutzte, 1920 aufgrund eines alliierten Schiedsspruches geteilt, und im Herbst 1938 wurde schließlich der tschechoslowakische Teil von Polen annektiert. Ein Ansatzpunkt für eine weiterführende polnisch-tschechoslowakische Annäherung lag aber der vorliegenden Studie zufolge im wirtschaftlichen Engagement der Škoda-Werke in Polen. Die französische Diplomatie bemühte sich letztlich vergeblich, über die wirtschaftlichen Beziehungen (der französischen Schneider-Werke zu Škoda und dessen Engagement in Polen) ihre außenpolitischen Ziele zu realisieren.

Für ihre Darstellung untergliedert Isabelle Davion die Studie in drei chronologisch geordnete Hauptteile, in denen jeweils die politischen und in geringerem Maß auch die wirtschaftlichen Aspekte behandelt werden. Zunächst untersucht sie die Bemühungen der französischen Außenpolitik bis 1924, eine Allianz mit Polen und der Tschechoslowakei trotz der Teschen-Frage zu schmieden. Im zweiten Abschnitt thematisiert Davion die polnisch-tschechische Annäherung und die Entwicklung eines kollektiven Sicherheitsgedankens bis 1932, während der dritte Hauptteil davon handelt, wie sich in den dreißiger Jahren allmählich die europäische Nachweltkriegsordnung auflöste und der französischen Diplomatie immer mehr Handlungsspielräume entglitten, indem Polen beispielsweise 1934 den Nichtangriffspakt mit Deutschland schloss und so eine wesentliche Prämisse der französischen Außenpolitik im Umgang mit Polen außer Kraft setzte. Abschließend kommt Davion daher zum Schluss, dass sich die französische Außenpolitik auf die Frage der Abwehr Deutschlands reduziert hatte und daher nicht erkannte, dass weder Polen noch die Tschechoslowakei bereit waren, sich von ihr führen zu lassen.

Die Verfasserin stößt mit ihrer Analyse sowohl der Außenpolitik im Allgemeinen als auch der Wirtschaftsbeziehungen im Besonderen in ein bisher von der historischen Forschung vernachlässigtes Themengebiet vor und stellt die Pariser Einschätzungen und Sichtweisen insgesamt einleuchtend dar. Diese Feststellung ist aber auch der Ansatzpunkt für eine – an dieser Stelle im Wesentlichen als grundlegende Anmerkungen zu formulierende – Kritik an der durchaus interessanten Studie. Es handelt sich, auch wenn das Prager Militärarchiv (im Wesentlichen der Bestand der französischen Militärmission) einbezogen wurde, um eine rein die französische Außenpolitik behandelnde Studie, die anhand eines inhaltlichen Ostmitteleuropabezugs die Probleme und gravierenden Missdeutungen und Fehleinschätzungen der französischen Außenpolitik der Zwischenkriegszeit thematisiert, die aus der oben skizzierten grundlegend feindlichen Haltung gegenüber Deutschland entstanden sind. Ostmitteleuropa (d.h. Polen und die Tschechoslowakei) wird so als Objekt der Außenpolitik gesehen, wobei die Perspektiven und Haltungen dieser beiden Länder nur insoweit, und dabei nur aus der französischen Perspektive, behandelt werden, wie dies für eine Einschätzung der französischen Außenpolitik notwendig ist. Daher verwundert es nicht, dass die Verfasserin sich im wesentlichen auf französische Quellen und Literatur bezieht, dass englische Literatur zum Thema nur wenig berücksichtigt wird und dass polnische und tschechoslowakische Haltungen ausschließlich in englischer und französischer Übersetzung erfasst werden. Daraus ergibt sich etwa auch, dass Namen und Begriffe falsch geschrieben und dass – was für die Gesamteinschätzung des Buches noch wesentlicher ist – insbesondere polnische Haltungen, auch von Zeitungen, nur in französischen und englischen Übersetzungen und aufgrund französischer und einiger tschechischer Archivalien wiedergegeben werden. Mit diesem insgesamt sehr reduzierten Fokus hat die Verfasserin die Chance vergeben, ein wichtiges Thema zu den internationalen Beziehungen in Ostmitteleuropa in der Zwischenkriegszeit umfassend, und nicht nur aus einer rein französischen Perspektive zu behandeln.

Dennoch stellt diese Studie einen wichtigen Ausgangspunkt für die Einschätzung der Haltungen, der Außen- und Wirtschaftspolitik Frankreichs gegenüber Ostmitteleuropa in der Zwischenkriegszeit dar. Zu hoffen bleibt, dass sie weitere, nun die polnisch-tschechische Sichtweise adäquat behandelnde Untersuchungen anregen wird. Bis diese verfasst sind, wird sie jedoch eine maßgebliche Analyse bleiben.

Heidi Hein-Kircher, Marburg/Lahn

Zitierweise: Heidi Hein-Kircher über: Mon Voisin, cet ennemi. La politique de sécurité française face aux relations polono-tchéchoslovaques entre 1919 et 1939, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Hein-Kircher_Davion_Mon_voisin_cet_ennemi.html (Datum des Seitenbesuchs)

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