Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 7 (2017), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Herbert Küpper
Rezeption und Rechtskulturwandel. Europäische Rechtskulturtraditionen in Ostasien und Russland. Hrsg. von Martin Josef Schermaier und Werner Gephart. Frankfurt a.M.: Klostermann, 2016. 270 S. = Recht als Kultur, 12. ISBN: 978-3-465-04252-5.
Inhaltsverzeichnis:
http://www.gbv.de/dms/spk/sbb/toc/827037163.pdf
Spätestens seit dem Ende des Sozialismus wird der Aspekt der Rechtskultur nicht nur in der Ostrechtswissenschaft, sondern auch in der Osteuropaforschung insgesamt immer wichtiger. Letztlich sind es rechtskulturelle Faktoren, die die teils disparaten Phänomene bei der Rezeption westlicher Rechtsinstitute oder das Auseinanderklaffen von geschriebenem und gelebtem Recht erklären helfen und deren Beachtung auch bei einer erfolgreichen internationalen rechtlichen Zusammenarbeit, d. h. bei der Beratung ehemals sozialistischer Staaten auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Gesetzanwendung, unabdingbar ist.
Besonders „fremd“ stellen sich im Auge des westlichen Betrachters die Rechtskulturen Russlands und der ehemals (oder nominell nach wie vor) sozialistischen Staaten Ostasiens dar. Während dies im Falle Chinas, Vietnams oder Nordkoreas nicht anders erwartet wurde, schwingt bei manchen westlichen Beobachtern nach wie vor Bedauern und Enttäuschung mit, wenn heute konstatiert werden muss, dass Russlands postsowjetische Rechtsentwicklung und Rechtskultur nicht – und schon gar nicht geradlinig – zu einem Recht(sverständnis) nach westeuropäischem Vorbild geführt haben.
Einen Beitrag zu dieser wichtigen Debatte liefert der vorliegende Sammelband. Er widmet sich drei Rechtskulturen: zunächst der japanischen, dann der chinesischen und schließlich der russischen. Vorangestellt sind Beiträge zu Übersetzungsproblemen und zur Rezeption in Bezug auf Ostasien.
Zunächst wird die Rezeption des römischen und europäischen Rechts in Japan im Ganzen analysiert (Norio Tanaka). Darauf folgt die Detailanalyse der japanischen Rezeption zweier konkreter europäischer Rechtsinstitute: des Schenkungswiderrufsrechts (Ayumu Endō) und der Vormundshaftung (Shigeo Nishimura). Diese Detailanalysen berühren Rechtsgebiete, die Lebenssachverhalte regeln, die besonders eng mit dem sozialen Selbstverständnis einer Kultur verbunden sind: Gabe und Familie. Daher sind sie besonders aussagekräftig.
In Bezug auf China wird zunächst die Deliktshaftung als gemischte Rezeption französischer und deutscher Elemente dargestellt (Fei Yu) und diese Rezeptionsgeschichte auf das neue chinesische Deliktsrecht bezogen (Jianfeng Shen). Abschließend folgt ein Vergleich beim Schadensersatz für Ehebruch zwischen China und Deutschland (Xiaofeng Zhu).
Auch das letzte Kapitel, das Russland gewidmet ist, besteht aus drei Studien. Die erste analysiert die Rolle des römischen Rechts bei der Rechtsfortbildung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der späten Zarenzeit (Martin Avenarius). Hierbei handelte es sich um eine nicht von außen aufgezwungene, sondern von Russland selbst gewünschte, wenngleich auf eine juristische Elite beschränkte Rezeption. Eine gewisse Entfernung vom Kernthema „Recht“ scheint der folgende Beitrag über die Rezeption des Menschenrechtsbegriffs in der Russischen Orthodoxen Kirche (Kristina Stoeckl) zu bewirken. Jedoch schlägt er die Brücke zur Rolle der Kirche bei der strafrechtlichen Verfolgung der Musikerinnen von „Pussy Riot“ und zeigt so die aktuelle, auch rechtliche Relevanz dieser Rezeptionsvorgänge auf. Abschließend wird ein Blick auf die Debatte über die sozialen Grundrechte in der Sowjetunion im 20. Jahrhundert geworfen (Nikolaj Plotnikov).
Insgesamt bietet der vorliegende Sammelband mit seinen teils breiter angelegten Tableaus und seinen teils sehr in die Tiefe gehenden Einzelstudien ein facettenreiches Bild über die Herausbildung wichtiger Elemente der russischen und ostasiatischen Rechtskulturen im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit westeuropäischen Ideen, Rechten und Rechtsinstituten. Manches wird dadurch verständlicher, andere Fragen bleiben offen, und neue Fragen formulieren sich. Für den Osteuropakundler ist nicht zuletzt auch der Vergleich mit Japan lehrreich, werden hier doch Rezeptionsvorgänge einer Rechtskultur dargestellt, die nicht dem Sozialismus unterlag. Der Kontrast mag den Blick für Elemente schärfen, die typisch sozialistisches Rechts- und Kulturerbe darstellen.
Zitierweise: Herbert Küpper über: Rezeption und Rechtskulturwandel. Europäische Rechtskulturtraditionen in Ostasien und Russland. Hrsg. von Martin Josef Schermaier und Werner Gephart. Frankfurt a.M.: Klostermann, 2016. 270 S. = Recht als Kultur, 12. ISBN: 978-3-465-04252-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Kuepper_Schermaier_Rezeption_und_Rechtskulturwandel.html (Datum des Seitenbesuchs)
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