Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Kolja Lichy

 

Eliasz Pielgrzymowski: Poselstwo i krótkie spisanie rozprawy z Moskwą. Poselstwo do Zygmunta Trzeciego. Warszawa: Neriton, 2010. 453 S., 1 Abb. = Humanizm. Idee, nurty i paradygmaty humanistyczne w kulturze polskiej. Polonika, IV. ISBN: 978-83-7543-197-1.

Die Beziehungen Polen-Litauens zu Moskau im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert gehören sicherlich zu den seit zweihundert Jahren intensiver erforschten frühneuzeitlichen Themenfeldern in der polnischen Historiographie. Entsprechend herrscht auch kein Mangel an mehr oder weniger kritischen Editionen, die sich vor allem im 19. Jahrhundert und wieder verstärkt seit Ende der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zeitgenössischer Berichte angenommen haben. Hierbei standen insbesondere Gesandtschaftsberichte und Ego-Dokumente im Fokus, die sich auf die Dmitriaden und das Kriegsgeschehen des ersten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts bezogen. Obgleich chronologisch unmittelbar vor diesen Geschehnissen angesiedelt, ist doch auch der vorliegende Band in diesen Kontext einzuordnen. Eine erste Manuskriptversion wurde erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckt und in einer zeittypischen – zwischen ausführlichen Originalzitaten, Paraphrase und Darstellung changierenden – Form publiziert (Władysław Trębicki: Poselstwo Lwa Sapiehy w roku 1600 do Moskwy, podług Dyaryu­sza Eljasza Pielgrzymowskiego sekretarza poselstwa, z rękopisu trafem odkrytego. Grodno 1846). Solcher Umgang mit der Handschrift beraubte Pielgrzymowskis Text allerdings seiner aus heutiger Perspektive wohl eigentlich interessanten Dimensionen. Zu diesen gehören die sprachlichen Mischformen aus Polnisch, Russisch und Altweißrussisch ebenso wie der gesamte in Versform gehaltene epische Teil des Gesandtschaftsberichts, dem Trębicki keinerlei informativen Wert zumaß.

Eliasz Pielgrzymowski, seines Zeichens Schreiber des Großfürstentums Litauen und zuvor schon Königlicher Sekretär, war im Jahr 1600 Teilnehmer einer offiziellen diplomatischen Mission nach Moskau. Diese polnisch-litauische Gesandtschaft zum frisch gekürten Zaren Boris Godunov stand im Kontext angespannter internationaler Beziehungen. Der dynastische Konflikt Sigismunds III. Wasa mit seinem Onkel Karl von Södermanland um das Erbkönigreich Schweden, das komplexe Bündnis- und Konkurrenzverhältnis zum Haus Habsburg unter der Führung Rudolfs II. und ein sich dabei abzeichnender feindlicher Schwenk in der zarischen Politik gegenüber dem westlichen Nachbarn waren Anlass des diplomatischen Besuchs. In dessen Rahmen sollte nicht nur ein Ewiger Frieden, sondern – wie schon wiederholt in der Vergangenheit angestrebt – eine eventuelle Union zwischen dem Moskauer Reich und dem polnisch-litauischen Doppelreich avisiert werden. Schließlich einigte man sich zumindest auf einen zwanzigjährigen Friedensvertrag. Die Verhandlungen zwischen dem Zaren und seinen Beratern einerseits und der polnisch-litauischen Gesandtschaft andererseits stehen im Mittelpunkt von Pielgrzymowskis erster Darstellung. Gefolgt wird diese von einem zweiten Textabschnitt, der die Moskauer Gesandtschaft an Sigismund III. beschreibt, die 1602 infolge der zwei Jahre zuvor erzielten Übereinkünfte abgefertigt wurde. In beiden Fällen bedient sich der Autor dabei einer hybriden Textform, die diplomatische Dokumente und Reden im Wortlaut getreu wiederzugeben signalisiert und diese Belege zugleich um Versdichtungen ergänzt. Letztere beschreiben Teile der Verhandlungen, aber sie enthalten auch allgemeinere Ausführungen. Bemerkenswert erscheinen in diesem Zusammenhang nicht zuletzt die ausführlich inszenierten, jedoch in Versform gebrachten Reden der Beteiligten. Inwieweit solch eine textuelle Form, die mit den Reden, der Versform und den zitierten Autoritäten den Bericht nach dem Muster antiker Historiographie stilisierte, sich dazu anbietet, Fakteninformationen zu extrahieren, wie der Herausgeber es andeutet, bleibt dahingestellt. Von größerer Bedeutung hingegen scheint der panegyrische Charakter insbesondere der ersten Partie zu sein, die dem litauischen Großkanzler Lew Sapieha gewidmet war. Letzterer war nicht nur Leiter und führender Kopf der Delegation, sondern wird mithin zum dominanten Helden in Pielgrzymowskis Erzählung. In diesem Zusammenhang ist es wohl kaum Zufall, wenn derselbe Pielgrzymowski schon knapp zwanzig Jahre früher neben anderen panegyrischen Werken auch eine Panegyrica apostrophe auf den mit Sapieha eng verbündeten Krzysztof Radziwiłł veröffentlicht hatte. Aus dieser Perspektive gehört der vorliegende Text zuvörderst in eine ganze Reihe von Texten, die im Auftrag oder zumindest im großen Interesse hochadliger Familien im Polen-Litauen des 16. Jahrhunderts entstanden und die Memoria des jeweiligen Hauses stabilisieren sollten. Zeigt sich der Herausgeber Roman Krzywy in seiner Einleitung an diesem Kontext eher nur am Rande interessiert, rückt er stärker die ausgeprägte Negativdarstellung der russischen Verhandlungspartner und des Moskauer Reiches generell in den Fokus. In welcher Weise die starken Dichotomien und Bewertungen, derer sich Pielgrzymowski befleißigt, allerdings innerhalb eines europäisch-lateinischen Diskurses mit Exponenten wie einem Herberstein zu verorten sind, bleibt bei Krzywy außen vor.

Die vorliegende Edition richtet sich ihrer Konzeption nach wohl nicht nur an ein enges fachwissenschaftliches Publikum, sondern ist so eingerichtet, dass auch ein breiterer Leserkreis angesprochen werden kann. Roman Krzywy gehört dabei zu den etablierten und erfahrenen Editoren frühneuzeitlicher polnischer Texte. Er hat dafür Sorge getragen, dass die Öffnung für eine größere Leserschaft keineswegs dazu führt, dass fachwissenschaftliche Maßstäbe und die Qualität des kritischen Apparats hierunter leiden, wie dies bei der litauischen Textausgabe von 2002 teilweise der Fall ist (Elijas Pil­grimo­vijus: Didžioji Leono Sapiegos pasiuntinybė į Maskvą (1600–1601 m.) Parengė Jūratė Kiaupienė. Vilnius: Žara, 2002 [= Historiae Lituaniae Fontes Minores, 4]). Im Fall von Krzywys polnischer Edition verwundern nur wenige Flüchtigkeiten am Rande. So wird etwa der Autor der ersten Pielgrzymowski-Paraphrase des 19. Jahrhunderts bei ihm von Trębicki zu „Trębski“ (S. 18, Anm. 32). Insgesamt erweist sich die editorische Anlage des Textes bei einer genaueren Lektüre leider nicht durchweg vorteilhaft: Der Umstand, dass der kritische Apparat dem Quellentext komplett nachgestellt worden ist, mag auf Verlags- beziehungsweise Reihenvorgaben beruhen. Dies erlaubt zwar einen kontinuierlichen Lesefluss, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Text wird hingegen durch ein notwendiges ständiges Hin- und Herblättern gestört. Entsprechend reißt auch die Einleitung viele Probleme an; im Sinne einer vertieften Auseinandersetzung hätte man sich aus fachwissenschaftlicher Sicht aber eine etwas umfangreichere und tiefergehende Analyse wünschen können. In der Summe handelt es sich jedoch um ein durchaus lohnendes Editionsprojekt, auch wenn – oder vielleicht auch gerade weil – die Textüberlieferung recht prekär ist und die vorliegende Ausgabe auf einer einzigen überlieferten Handschriften­redaktion basiert. Schließlich erlaubt Pielgrzymowskis panegyrisch-diplomatisches Epos interessante Erkenntnisse sowohl zu Geschichte des Humanismus als auch zu Fragen nach einer „Litauizität“ im Doppelreich, der Wahrnehmung Moskaus in Polen-Litauen, der normativen Konstruktion von Adligkeit und in gewisser Hinsicht auch zur Diplomatiegeschichte.

Kolja Lichy, Gießen

Zitierweise: Kolja Lichy über: Eliasz Pielgrzymowski: Poselstwo i krótkie spisanie rozprawy z Moskwą. Poselstwo do Zygmunta Trzeciego. Warszawa: Neriton, 2010. 453 S., 1 Abb. = Humanizm. Idee, nurty i paradygmaty humanistyczne w kulturze polskiej. Polonika, IV. ISBN: 978-83-7543-197-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Lichy_Pielgrzymowski_Poselstwo_i_krotkie_spisanie.html (Datum des Seitenbesuchs)

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