Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  5 (2015), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Aleksej Martynjuk

 

I. O. Tjumencev / M. Janickij / N. A. Tupikova / A. B. Plotnikov (Hrsg.): Dnevnik Jana Petra Sapegi (16081611) [Das Tagebuch von Jan Piotr Sapieha (1608–1611)]. Moskva, Varšava: Drevlechranilišče, 2012. 455 S., 1 Graph. = Pamjatniki istorii Vostočnoj Evropy: Istočniki XV–XVII vv., 9. ISBN: 978-5-93646-190-3.

Die Ausgabe entstand im Rahmen eines gemeinsamen russisch-polnischen Projekts im Bereich der Edition der historischen Quellen zur Geschichte Osteuropas im 15. bis 17. Jahrhundert. Jan Piotr Sapieha (1569–1611) gehörte zum hohen polnisch-litauischen Adel und war eine bedeutende Persönlichkeit seiner Zeit. Der Höhenpunkt seiner politischen und militärischen Laufbahn fällt in die sog. „Zeit der Wirren“ (russ. Smutnoe vremja) in Russland. Dort spielte er eine wichtige Rolle im Lager des zweiten falschen Dmitrij und war zeitweilig der Hetman (Befehlshaber) seiner Truppen. Jan Sapieha befehligte persönlich die polnischen Truppen, die 16 Monate lang (September 1608 – Januar 1610) das Troice-Sergiev-Kloster belagerten. Die Verteidigung des Klosters ging als Inbegriff des heldenhaften Patriotismus in die russische Geschichte ein, und Sapieha fand dementsprechend einen festen Platz in den russischen Quellen jener Zeit. Später wechselte Sapieha auf die Seite des polnischen König Sigismund III. und nahm am Kampf um Moskau gegen das Freiwilligenaufgebot der russischen Städte (russ. pervoe opolčenie) teil. Dort im Kreml starb er im September 1611. Sogar diese kurze Aufzählung seinerVerdienste“ zeigt, wie wichtig sein Tagebuch für die Erforschung der politischen Ereignisse in Russland zu Beginn des 17. Jahrhunderts ist. Anscheinend hatte Sapieha ein gut organisiertes Sekretariat, das seine militärischen Taten in Russland dokumentieren sollte. Das vorliegende Tagebuch ist das Ergebnis der Arbeit dieses Sekretariats. Die Eintragungen lassen eine deutliche apologetische Tendenz erkennen: den Siegen des Hetmans ist mehr Platz eingeräumt als seinen Niederlagen, insgesamt werden die Nachrichten zu Ende des Tagebuchs knapper und spärlicher. Trotzdem hat es einen sehr hohen Quellenwert für die Erforschung der „Zeit der Wirren“.

Die Ausgabe folgt dem Prinzip der Zweisprachigkeit und bietet die polnische Originalfassung und eine russische Übersetzung des Textes. Die Edition ist mit historischem Kommentar, Anhang (Ausschnitte aus anderen Quellen, die im Zusammenhang mit der Biographie von Sapieha stehen), Bibliographie, Glossar und einem Namens- und Ortsverzeichnis versehen. Dies alles erlaubt eine produktive Arbeit mit dem Text des Tagebuchs. Das Buch besitzt eine in gute Druckqualität und eine stabile Bindung, was für eine Quellenedition durchaus wichtig ist.

Die Quellenedition hat noch einen weiteren, speziellen Wert für die wissenschaftliche Forschung. Der Russlandfeldzug von Hetman Jan Sapieha fand seinen Niederschlag in einem Komplex von Dokumenten, von dem Teile heute in verschiedenen Archiven in Polen, Russland, der Ukraine und Schweden zerstreut aufbewahrt sind. Da im Tagebuch sehr oft Empfang und Versand von Briefen und anderen Dokumenten erwähnt ist, erlaubt das die Identifikation und Einordnung von erhalten gebliebenen Dokumenten und somit die Rekonstruktion des Sapieha-Archivs. Diese Arbeit wurde von einem Forscherkollektiv unter Igor Tjumencev im Rahmen eines Forschungsprojekts durchgeführt, auf ihre Ergebnisse wird in den Kommentaren zur vorliegenden Ausgabe verwiesen. Um das nur an ein paar Beispielen zu verdeutlichen: Am 28. März 1609 erhielt Jan Sapieha einen Brief vom Militärkommandeurs von Vladimir – dieser Brief ist erhalten geblieben und ist in dem rekonstruierten Sapieha-Archiv unter der Nummer 204 aufgelistet (S. 107, 354). Das zweite Beispiel ist noch spektakulärer: Am 11. April 1609 wurden drei russische Boten aus dem belagerten Troice-Sergiev-Kloster gefangengenommen, bei denen man ca. 500 (!) Brief entdeckte – 10 davon wurden in Archiven aufgefunden und identifiziert (S. 111, 355). Dies zeigt die Bedeutung des Nachlasses von Jan Sapieha als einen einzigartigen Quellenkomplex zur Geschichte der „Zeit der Wirren“ in Russland. Bislang konnten dem Sapieha-Archiv mehr als 400 Dokumente zugeordnet werden. Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden im selben Jahr 2012 publiziert (Russkij archiv Jana Sapegi 1608–1611 godov. Teksty, perevody, kommentarii. Pod redakciej I.O. Tjumenceva. Volgograd 2012. 688 S. ISBN: 978-5-7786-0413-1). Die vorliegende Edition des Tagebuchs von Hetman Jan Sapieha ist also als Teil eines großangelegten – und überaus erfolgreichen – Forschungsprojektes.

Aleksey Martynjuk, Minsk

Zitierweise: Aleksej Martynjuk über: I. O. Tjumencev / M. Janickij / N. A. Tupikova / A. B. Plotnikov (Hrsg.): Dnevnik Jana Petra Sapegi (1608-1611) [Das Tagebuch von Jan Piotr Sapieha (1608–1611)]. Moskva / Varšava: Drevlechranilišče, 2012. 455 S., 1 Graph. = Pamjatniki istorii Vostočnoj Evropy: Istočniki XV–XVII vv., 9. ISBN: 978-5-93646-190-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Martynjuk_Tjumencev_Pamjatniki_istorii_Vostocnoj_Evropy.html (Datum des Seitenbesuchs)

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