Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 3 (2013), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Peter Ruggenthaler
Anna Maria Grünfelder: Arbeitseinsatz für die Neuordnung Europas. Zivil- und ZwangsarbeiterInnen aus Jugoslawien in der „Ostmark“. 1938/41–1945. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2010, 262 S. ISBN: 978-3-205-78453-1.
Anna Maria Grünfelder widmet sich in ihrem Buch dem Schicksal der „Zivil- und ZwangsarbeiterInnen“ aus Jugoslawien in der „Ostmark“, das bislang kaum erforscht worden war (sieht man von wenigen wirtschaftsgeschichtlichen Studien, die die Thematik tangieren, ab, S. 11). Der nicht ganz korrekt gewählte Titel spiegelt die Schwierigkeit der Thematik wider. Einerseits liegt der Schwerpunkt auf dem von Hitlers Gnaden geschaffenen „Unabhängigen Staat Kroatien“ (NDH), andererseits werden auch die aus den von Ungarn und Italien annektierten „jugoslawischen“ Gebieten rekrutierten Zwangsarbeitskräfte abgehandelt. Das Schicksal der anderen südslawischen Nationalitäten ist nicht Gegenstand der Untersuchungen der Autorin.
Die Arbeits- und Wirtschaftsmigration der Kroaten nach Österreich und Deutschland hatte – wie generell aus dem „jugoslawischen“ Raum – bis in den Ersten Weltkrieg zurückreichende Tradition. Vor der Besetzung Jugoslawiens durch die Deutsche Wehrmacht 1941 arbeiteten bereits Tausende „Jugoslawen“ im Deutschen Reich. 1943 stellten die jugoslawischen Zwangsarbeiter acht Prozent aller im Deutschen Reich eingesetzten ausländischen Arbeitskräfte.
Besondere Aufmerksamkeit widmet Grünfelder in ihrem Buch daher den Aushebungsmodalitäten der Arbeitskräfte. Dies ist, nicht zu Unrecht, die Kategorisierung von Arbeitskräften als Zwangsarbeiter – auch den heutigen gültigen internationalen Regelungen zufolge – besonders von diesem Kriterium abhängig. In der Einleitung nimmt die Autorin bereits vorweg, dass die Gewaltausübung bei der Aushebung von Arbeitskräften in dem von ihr untersuchtem Gebiet (Grünfelder beschränkt sich im Wesentlichen auf die Grenzen des heutigen Kroatien) sowohl durch die kroatischen Behörden als auch von den mit den Ustaša-Einheiten zusammenarbeitenden deutschen Ämtern (die zudem auch in Eigenregie rekrutierten) alltäglich war (S. 21). Die Arbeitskräfterekrutierung fand im NDH auf drei Ebenen statt: mittels Razzien (ab S. 69), auf Basis des deutsch-kroatischen Vertrages zur Beschaffung von Arbeitskräften in Kroatien (ab S. 81) und im Rahmen der deutsch-kroatisch-italienischen Großoffensiven gegen Partisanen (ab S. 98). Damit unterschieden sich die Rekrutierungsmethoden beispielsweise kaum von den in der besetzten Sowjetunion angewandten (mit oder ohne Zusammenwirken mit kollaborierenden Organen). Dies ist auch der beste Teil der Studie. Grünfelder fügt damit die Rekrutierung von Arbeitskräften in das Gesamtbild der Politik NS-Deutschlands ein. Das Deutsche Reich wurde mit den geforderten Arbeitern versorgt und der kroatische Staat entledigte sich damit unerwünschter Bevölkerungsgruppen.
Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter legt Grünfelder in erster Linie auf der Basis der Akten des Österreichischen Versöhnungsfonds (ÖVF) und von Interviews dar. Der Lesefluss wird durch die gewählte Methodik, so viele Einzelschicksale wie möglich – mit ständiger Angabe von Geburtsjahren und -orten) aufzulisten, erheblich gestört. So bleiben Hintergründe dieser Schicksale verborgen und diesem Teil der Arbeit kommt vor allem dokumentarischer Wert zu. Dem stark deskriptiven Narrativ dieses Kapitels (ab S. 138) hätte aber ein mehr in die Tiefe gehender analytischer Ansatz gut getan. Zudem liest sich das Buch überhaupt phasenweise wie ein Forschungsbericht über die Quellenlage.
Grünfelder hat für ihre Studie – abgesehen von dem genannten Bestand des ÖVF – ausschließlich Quellen aus kroatischen Archiven verwendet. So kann sie freilich wesentliche Fragestellungen nicht beantworten (etwa zur Genese des deutsch-kroatischen Abkommens über die Entsendung von Arbeitskräften in das Deutsche Reich). Von besonderem Interesse – und für die vorliegende Studie eigentlich unabdingbar – wären auch die Unterlagen der in vielen kroatischen Städten vertretenden Büros des Reichsarbeitsministeriums gewesen („wird man in deutschen Archiven suchen müssen“, S. 60). Dass man auf dieser Basis nicht die Geschichte der jugoslawischen Zwangsarbeiter im Deutschen Reich (oder auch nur in der „Ostmark“) schreiben kann, ist klar. Aber ein erster wichtiger Schritt in dieser Richtung ist getan. Jeder, der sich künftig mit dem Schicksal der jugoslawischen Kriegsgefangenen im Deutschen Reich beschäftigt, wird auf Grünfelders Studie aufbauen und von ihr profitieren können.
Zitierweise: Peter Ruggenthaler über: Anna Maria Grünfelder: Arbeitseinsatz für die Neuordnung Europas. Zivil- und ZwangsarbeiterInnen aus Jugoslawien in der „Ostmark“. 1938/41–1945. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2010, 262 S. ISBN: 978-3-205-78453-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Ruggenthaler_Gruenfelder_Arbeitseinsatz_fuer_die_Neuordnung_Europas.html (Datum des Seitenbesuchs)
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1Siehe hierzu Florian Freund / Bertrand Perz / Mark Spoerer Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939–1945. Wien, München 2004. = Veröffentlichungen der Historikerkommission der Republik Österreich, 26/1), S. 346; Stefan Karner / Peter Ruggenthaler Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft auf dem Gebiet Österreichs 1939 bis 1945. Wien, München 2004. (= Veröffentlichungen der Historikerkommission der Republik Österreich, 26/2); Ulrich Herbert Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Bonn 1999; Mark Spoerer Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939–1945. Stuttgart, München 2001.
2Zur „Ostmark“ siehe vor allem Wolf Gruner Zwangsarbeit und Verfolgung. Österreichische Juden im NS-Staat 1938–45. Innsbruck, Wien, München 2000.
3Zahlen zu „jugoslawischen“ Kriegsgefangenen in den Lagern auf dem Gebiet des heutigen Österreich finden sich bei Hubert Speckner In der Gewalt des Feindes. Kriegsgefangenenlager in der „Ostmark“ 1939 bis 1945. Wien, München 2003.
4Dietmar Seiler Die SS im Benediktinerstift. Aspekte der KZ-Außenlager St. Lambrecht und Schloss Lind. Graz 1994; Hans Maršálek Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen. Dokumentation. 4. Aufl. Wien 2006.
5Eine Ausnahme ist beispielsweise folgende Studie: Stefan Karner / Heide Gsell / Philipp Lesiak Schloss Lanach 1938–1949. Graz 2008.