Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Maike Sach

 

Dariusz Adamczyk: Silber und Macht. Fernhandel, Tribute und die piastische Herr­schaftsbildung in nordosteuropäischer Perspektive (800–1100). Wiesbaden: Harrassowitz, 2014. 386 S., 12 Ktn., zahlr. Tab. = Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, 28. ISBN: 978-3-447-10168-4.

Zwischen Herrschaft, Macht und Geld werden im allgemeinen Bewusstsein stillschweigend Wechselverhältnisse vorausgesetzt, die auch in der Gegenwart nicht immer einfach nachzuweisen sind. Allerdings ist dies eher eine Frage des konkreten Zugangs zu Informationen, an denen heutzutage im Prinzip kein Mangel herrscht. Die Zeit des frühen und hohen Mittelalters bietet hier ein gänzlich anderes Bild und ist gerade für die Geschichte des östlichen und nördlichen Europa eher von einem Mangel insbesondere an relevanten schriftlichen Quellen geprägt. Umso wichtiger ist es, sämtliche verfügbaren Quellengruppen auszuwerten, darunter Silberdepots und Münzhorte, die gerade in dem hier im Fokus stehenden Raum in großer Zahl gefunden und unter archäologischen Fragestellungen bearbeitet worden sind. Die für die zu besprechende Untersuchung in Frage kommenden Silberfunde allein auf dem Gebiet Polens (bis 2012) beziffert ihr Verfasser Dariusz Adamczyk auf ca. 160 Horte mit ungefähr 37.000 arabischen Münzen und mindestens 280 Schätze mit 100.000 Münzen westeuropäischer Provenienz (S. 14). Die systematische Analyse dieser Schätze, ihre genaue Zusammensetzung, Chronologie und geographische Verteilung in Zusammenschau mit der schriftlichen Überlieferung steht im Zentrum der Untersuchung, die am Deutschen Historischen Institut Warschau entstanden und von der Philosophischen Fakultät der Universität von Hannover 2013 als Habilitationsschrift angenommen worden ist.

Adamczyk versucht in seiner Studie, einen klaren Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Fernhandels und Herrschaftsbildungsprozessen im östlichen Europa nachzuweisen. Als Kernuntersuchungszeitraum hat der Verfasser die Zeitspanne von 930–1100 gewählt, wobei er zur Einordnung der Sachverhalte und Dynamiken in einen größeren geographischen Zusammenhang noch einige frühere und spätere Jahrzehnte mit einschließt. Silber konnte in unterschiedlichen Kontexten ganz verschiedenen Nutzen haben: Es war Wertspeicher, bisweilen wurden ihm magische Funktionen zugeschrieben, vor allem aber war es Prestige­objekt, Schmuck und Zahlungsmittel für die Entlohnung einer militärischen Gefolgschaft, wodurch Silber zum politischen Instrument für Erwerb, Steigerung und Behauptung von Macht wurde. Ausgehend von diesen Funktionen des Silbers für die Eliten in den frühen Herrschaftsgebilden im östlichen Europa fragt Adamczyk nach den Strategien und Praktiken insbesondere der Herrscher aus der Piasten-Dynastie, in den Besitz dieses so bedeutsamen Edelmetalls zu gelangen. Die rasche Expansion des jungen Gnesener Staates unter den frühen Piastenherrschern sieht Adamczyk dabei im Zusammenhang mit deren Bestreben, ihr Reich an die großen, interkontinentalen Silberströme und Handelsrouten anzuschließen.

In einem ersten Hauptteil macht Adamczyk zunächst mit dem Stand der Forschung, seinen Quellen und seinen Methoden vertraut. Er erläutert Probleme in der Terminologie der Zahlungsmittel in Form von Münzen oder Tierfellen und stellt noch einmal ausführlicher die Funktionen des Silbers insbesondere in Gestalt von arabischen Münzen, den Dirhems, vor. Um ein möglichst differenziertes Bild von der Nutzung des Silbers in einzelnen Regionen und Phasen seines Zuflusses zu zeichnen, versucht Adamczyk die jeweiligen historischen Kontexte zu erfassen, die zum Zeitpunkt der Deponierung eines Schatzes bedeutsam waren und damit auch für die Einordnung des Fundes relevant sind. Wesentlich ist aber die Definition eines analytischen Rasters aus Indikatoren, die bei den einzelnen Schätzen überprüft werden. Zu diesen Indikatoren gehören neben dem genauen Fundort, dem Umfang und dem Grad der Fragmentierung eines Depots und der in ihm enthaltenen Stücke auch die jeweiligen Häufungen von Schätzen in bestimmten Regionen und zu bestimmten Zeiten, ferner die Datierung der sogenannten Schlussmünze, d.h. der jüngsten Münze im Schatz, zur näheren Bestimmung des Zeitpunktes, an dem das Silberdepot angelegt wurde. Ebenfalls wird nach der Struktur der geographischen Herkunft der gehorteten Prägungen gefragt und danach, wer konkret die Münzen in eigenem Namen ausgab oder fremde Gepräge imitierte.

Der folgende Abschnitt ist zunächst einer Einführung in die Geschichte des arabischen Fernhandelssystems, der von ihm erfassten Gebiete, seiner Akteure bzw. multiethnischen Akteursgruppen (z. B. Chazaren, Skandinavier, Rus) und der relevanten Güter (Sklaven, die auf Beutezügen in die Gefangenschaft geführt worden waren, Pelze, Produkte aus der Waldwirtschaft etc.) gewidmet, um einen allgemeinen historischen Rahmen für die Einordnung des mit dem Analyseraster erhobenen Datenmaterials zu bieten. Adamczyk ermittelt zuerst die Chronologie der durch die Silberdepots selbst dokumentierten Austauschbeziehungen zwischen dem arabisch-muslimischen Raum, inklusive Nordafrikas und Zentralasiens, und dem nördlichen und östlichen Europa. Dabei präpariert er aus seinem Material zunächst vier charakteristische Phasen im Zustrom arabischer Münzen über die Fernhandelssysteme ins östliche und nördliche Europa heraus: Phase I (786/787 bis 839/840) und II (840/841 bis 896/897) sind vor allem durch einander ablösende Gruppen und eine Verschiebung der Silberströme nach Norden gekennzeichnet. In Phase III (900 bis 989/990) lässt sich das Aufkommen neuer Märkte und Machtzentren beobachten, in Phase IV (990 bis ca. 1020) zeigt sich an der Zusammensetzung der Funde das Versiegen des arabischen Silbers und eine Umorientierung nach Westeuropa. In einem nächsten Schritt analysiert er die geographische Herkunft der in den Schätzen enthaltenen Münzen sowie ihre späteren Fundorte, die den erwähnten vier Phasen zugeordnet werden, um anschließend die Münzströme, die sich in der Gesamtschau der Funde in Zeit und Raum herauskristallisieren, auch hinsichtlich ihres Umfangs zu bestimmen. Durch diesen Zugriff lassen sich folgenreiche Veränderungen in den Silberströmen im eurasischen sowie im maritimen Großraum von Nord- und Ostsee identifizieren, beispielsweise die Verlagerung von Handelsrouten bis hin zum Abbrechen von Silberströmen aus bestimmten, vormals reichhaltig in den Funden dokumentierten Herkunftsregionen, wie zunächst im Falle der arabischen Dirhems und später englischer Münzen, die aus Tributen an die Wikingern stammten.

Diese Ergebnisse werden anschließend von Adamczyk in einem weiteren Teil seiner Arbeit diskutiert und historisch eingeordnet. Dabei zeigt sich im Fehlen von Silberdepots aus dem 9. Jahrhundert auf dem Gebiet Großpolens, in dem sich später die Herrschaft der frühen Piasten herausbilden sollte, dass die großen Handelsrouten und Silberströme zunächst offenbar an dieser Region vorbeiströmten. Ursachen könnten nach Adamczyk Qualitätsmängel im Angebot der typischen Waren aus der Waldwirtschaft gewesen sein, möglicherweise habe es auch noch kein relevantes Angebot an Sklaven gegeben, zu deren Beschaffung vermöge von organisierten Raub- und Plünderungszügen die Existenz eines Herrschafts- oder zumindest Häuptlingssystems notwendig gewesen wäre. Ein solches System habe sich möglicherweise erst in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts ausgeprägt, einem Zeitraum, für den es dann Belege für einen wachsenden Silberzustrom durch Depotfunde gibt, zunehmend auch in der piastischen Kernregion (siehe S. 123, 170, 175–176).

Der Verfasser versucht über Modellrechnungen die Kosten für den Unterhalt einer Gefolgschaft abzuschätzen, bei deren Entlohnung das prestigeträchtige Silber, erworben durch kriegerische Beutezüge, Tributzahlungen oder Handel, vermutlich eine bedeutende Rolle spielte. Sollte auch nur ein Teil der Entlohnung über Silber erfolgt sein, so sind nach nachvollziehbarer Vermutung Adamczyks einige Depots sehr wahrscheinlich von Mitgliedern der drużyna angelegt worden. Der Zustrom von Silber ins nördliche und östliche Europa erweist sich so als ein mächtiger Impuls zur Ausbildung von herrschaftlichen Strukturen und Herrschaftszentren, die zu Konkurrenzen um die Kontrolle von Silberströmen geführt hätten. Die Verdichtung von Herrschaft und ihre Stabilisierung koinzidiert dabei im piastischen Kernraum mit der Verschiebung der Silberströme nach Westen, dokumentiert durch eine Häufung von Schatzfunden in Großpolen in der relevanten Zeitschicht um das Jahr 1000 sowie die Zunahme von Siedlungen in diesem Raum.

In der Zusammensetzung der Depots spiegeln sich die Veränderungen der historischen Kontexte; sie zeigen dabei einen tiefgreifenden Wandel in den ökonomischen Strukturen der Gesellschaften im nördlichen und östlichen Europa und in ihren Handelsbeziehungen an: Nach dem Abebben des Zustroms arabischer Münzen finden sich in den Schätzen vermehrt Münzen westeuropäischer Provenienz, die aber schwer präzise zu datieren sind, da Münzen aus England oder dem Reich kein Prägedatum hatten. Auf die Münzprägungen der frühen Piasten geht der Verfasser ebenfalls ein: Ihre Funktion sieht er einerseits in dem Bestreben, die Gefolgschaft nicht mit fremden Münzen oder Hacksilber entlohnen zu müssen, sondern mit eigener harter Münze. Anderseits sei in der eigenen Münzproduktion ein politisch-ideologisches Statement zu sehen: Mit der eigenen Münze habe man die Zugehörigkeit zum christlichen Europa demonstrieren wollen. In den ersten Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts konnten sich die piastischen Prägungen allerdings nicht auf Dauer durchsetzen.

Auch Polen blieb – wie auch Böhmen, die Rus oder das Reich der Dänen – in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts nicht von Krisenerscheinungen verschont, die hinsichtlich der Geschehnisse im östlichen Europa auch als heidnische Reaktion beschrieben worden sind. Adamczyk lenkt hier für die Piastenherrschaft den Blick auf ökonomische Ursachen des Kollaps: Die Grundlage der frühen piastischen Herrschaft waren Tribute, die in Pommern, Masowien, Schlesien und Kleinpolen erhoben wurden, Dienste und Abgaben in Großpolen sowie Raub- und Beutezüge unter Einsatz der Gefolgschaft. Dabei ging es vor allem um die Erlangung von Silber für die Entlohnung der Gefolgschaft, sei es als direkte Zahlung (Tribute, Lösegelder, Geldzahlungen aus Fernhandel) oder sei es auf dem Umweg über Naturalabgaben und den Handel damit. Für die Bevölkerung bedeutete dies eine hohe und beständig ansteigende Belastung, gegen die sie sich schließlich zur Wehr setzte.

Die Häufigkeit von Silberdepots nahm in der Folgezeit ab, was Adamczyk plausibel mit dem Zerfall der alten Gesellschaftsstruktur in Verbindung bringt, begann doch Landbesitz, mit dem die Gefolgschaft nun für Dienst entlohnt wurde, als Statussymbol entscheidend zu werden, während sich einheitliche Münzprägungen als Symbol fürstlicher Herrschaft durchsetzten.

Adamczyk gelingt es durch die systematische Analyse des numismatischen Materials, die ökonomischen Dynamiken der Silberströme und Handelsrouten und deren Rückkopplung mit den Prozessen der Herrschaftsbildung und Expansion anschaulich und plausibel nachzuzeichnen. Dabei arbeitet er auch die Interaktion von Akteuren einzelner Regionen über die Fernhandelssysteme heraus und bietet hier ein breites Panorama von Prozessen der Verflechtung im nördlichen und östlichen Europa und seiner jeweiligen Peripherien. Auch beschreibt er überzeugend die Veränderungen im piastischen Herrschaftssystem, indem er sie schlüssig mit einer „ökonomischen, militärischen und politischen Überdehnung“ begründet (S. 290), die allerdings nicht nur für die polnischen Verhältnisse kennzeichnend war, sondern auch für andere Herrschaftsbildungen im zeitgenössischen nordöstlichen Europa.

Wirtschaftliche Zahlen und Datensammlungen sind nicht immer leicht eingängig dazustellen: Adamczyk hat das numismatische Material in zahlreichen Tabellen aufgearbeitet und die geographische Verteilung von Schätzen zu verschiedenen Phasen in zahlreichen Karten veranschaulicht. Die Arbeit verfügt über ein Personen- und Ortsnamensregister. Darüber hinaus findet sich im Anhang der trotz der Detailliertheit des dargeboten Materials gut lesbaren Arbeit eine knappe Aufstellung der konkreten Zusammensetzung von untersuchten Depots, die damit die numismatische Quellenbasis inhaltlich weiter erschließt.

Maike Sach, Mainz und Kiel

Zitierweise: Maike Sach über: Dariusz Adamczyk: Silber und Macht. Fernhandel, Tribute und die piastische Herrschaftsbildung in nordosteuropäischer Perspektive (800–1100). Wiesbaden: Harrassowitz, 2014. 386 S., 12 Ktn., zahlr. Tab. = Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, 28. ISBN: 978-3-447-10168-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Sach_Adamczyk_Silber_und_Macht.html (Datum des Seitenbesuchs)

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