Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Tobias Weger

 

Deutschland – Frankreich – Polen seit 1945. Transfer und Kooperation. Hrsg. von Corine Defrance / Michael Kißener / Jan Kusber / Pia Nordblom. Bruxelles [usw.]: Peter Lang, 2014. 291 S., 10 Graph. = LAllemagne dans les relations internationales – Deutschland in den internationalen Beziehungen, 6. ISBN: 978-2-87574-209-4.

Inhaltsverzeichnis:

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Multilaterale Interessenverbände sind nicht von ewiger Dauer, sondern unterliegen Konjunkturen und den inneren und äußeren Entwicklungen der beteiligten Staaten. Das verrät jeder Rückblick auf die Geschichte der europäischen Staatenordnung, der vor den politikwissenschaftlich relevanten Rahmen der Zeitgeschichte zurückreicht. So wirkt auch die Berufung des vorliegenden Bandes auf das „Weimarer Dreieck“, jenes 1991 initiierte französisch-deutsch-polnische diplomatische Forum, aus heutiger Sicht bereits fast wie ein Anachronismus oder zumindest ein Wunschdenken, da sich die Beziehungen zwischen den drei Staaten seit der europäischen Aufbruchsstimmung in den frühen neunziger Jahren stark verändert haben. Sind unter den aktuellen Bedingungen nicht etwa die „Visegrád-Gruppe“ (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) oder die „Austerlitz-Trilaterale“ (Österreich, Tschechien, Slowakei) wirkmächtiger geworden als das an Goethes Wirkungsort initiierte „Weimarer Dreieck“? Als Corine Defrance, Michael Kißener, Jan Kusber und Pia Nordblom im Jahre 2014 den Sammelband mit den Erträgen einer im Oktober 2010 in Mainz veranstalteten Tagung herausbrachten, war der „Geist von Weimar“ möglicherweise noch eher spürbar als heute.

Hans-Jürgen Bömelburg eröffnet die Reihe der Einzelbeiträge mit einer historischen Skizze zur Entwicklung des „Weimarer Dreiecks“ seit 1991. Er weist auf die verbreiteten Ängste vor einer deutschen Hegemonie in Europa hin, die durch die Gründung dieses Forums ausgelöst worden seien, sowie auf die in den achtziger Jahren schwachen französisch-polnischen Beziehungen. Chancen für eine trilaterale Zusammenarbeit sieht er insbesondere in der trilateralen Vertrauensbildung sowie im Bildungs- und Kulturbereich.

Die drei folgenden Aufsätze widmen sich den bilateralen Beziehungen im Weimarer Dreiecksverhältnis seit 1945: Michael Kißener skizziert die Kontakte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich von der Ebene der Politik bis hin zu zivilgesellschaftlichen Initiativen der Kirchen und der Kommunen. Die DDR, die insbesondere für Teile der französischen Linksintellektuellen eine Alternative zur BRD darstellte, bleibt dabei ausgespart. Sie spielt hingegen eine prominente Rolle in Jan Kusbers Abhandlung zum deutsch-polnischen Verhältnis. Tomasz Schramm, der sich den französisch-polnischen Beziehungen seit 1945 zuwendet, entwirft ein breites Tableau aus politischen, wissenschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Faktoren und stellt auch den Diskurs um die Oder-Neiße-Grenze in diesem bilateralen Geflecht heraus.

Konkret mit dem „Weimarer Dreieck“ befassen sich die nachfolgenden Beiträge. Die­ter Bingen zeichnet in einem Rückblick die Genese, aber auch die fehlende institutionelle Struktur dieses Forums nach und betont unter dem Stichwort „Unerledigtes“ die Macht der Unterschiede zwischen den drei beteiligten Staaten. Auch Jérôme Vaillant sieht in dem Dreieck letztlich ein „Lobbyinstrument“ mit begrenzten Möglichkeiten, das vor allem während des Zweiten Golfkriegs (2003) angesichts weltpolitischer Divergenzen gescheitert sei. Er vergleicht das „Weimarer Dreieck“ mit dem Elysée-Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, der 1963 ebenfalls lediglich einen Rahmen für die Nachbarschaft am Rhein gesetzt habe. Frédéric Plasson widmet sich den wirtschaftlichen Kooperationen im deutsch-polnisch-französischen Dreieck.

Was hat das „Weimarer Dreieck“ für junge Menschen in den drei Ländern gebracht? Corine Defrance erinnert an die Entstehung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) und den Transfer, den dieses ab 1991 für den Aufbau des Deutsch-Polnischen Jugendwerks (DPJW) geleistet habe. Auf die Möglichkeiten trilateraler Projekte unter der Regie des DFJW macht Eva Sabine Kuntz aufmerksam. Ein eher ernüchterndes Bild von der universitären und wissenschaftlichen Zusammenarbeit Frankreichs, Deutschlands und Polens zeichnen Kornelia Kończal und Robert Żurek. Unter Verweis auf die bescheidenen statistischen Zahlen demonstrieren sie die nach wie vor bestehenden Asym­metrien, die – wie sie es zugespitzt formulieren – die akademische Realität eher zu einer „Science-Fiction“ werden ließen, obwohl die Voraussetzungen für eine sehr viel breitere Zusammenarbeit bestünden.

Diplomatische Beziehungen bleiben ein fragiles Gerüst, werden sie nicht durch zivilgesellschaftliche Initiativen „von unten“ weiter gefestigt. Lisa Bicknell rekapituliert wichtige Versöhnungsinitiativen im deutsch-polnischen Verhältnis seit den sechziger Jahren und verweist dabei vor allem auf die Rolle der Kirchen, die wichtige Grundlagen für das zwischenmenschliche Auskommen geschaffen hätten. Die Ebene der Städtepartnerschaften thematisiert Tanja Hermann, die zunächst die Entwicklung der deutsch-französischen und der deutsch-polnischen Partnerschaften miteinander kontrastiert und dann am Beispiel der Stadt Wolfsburg Potenziale, aber auch Grenzen der Zusammenarbeit demonstriert. Die niedersächsische Industriestadt unterhält seit 1963 eine Städtepartnerschaft mit dem französischen Marignane und seit 1998 mit dem polnischen Bielsko-Biała. Im letzten Beitrag zeigt Pierre-Frédéric Weber die Bedeutung des Elsass und Oberschlesiens für das deutsch-französische bzw. das deutsch-polnische Verhältnis seit 1945 auf. Lange Zeit waren beide Regionen Zankäpfel zwischen Deutschland und Frankreich bzw. Deutschland und Polen; sie hätten sich aber im Zeichen von Europäisierung und Regionalisierung zu verbindenden Elementen zwischen den Ländern weiterentwickelt.

Der Sammelband belegt die relativ kurze Aktualität vieler wissenschaftlicher Publikationen, hat doch die jüngste Entwicklung in Europa manches Wunschdenken bzw. manche Voraussagen bereits überholt. Viele Autorinnen und Autoren fassen in ihren Texten lediglich Ergebnisse ausführlicher eigener Studien zusammen, ohne dabei wirklich innovative Gedanken zu entwickeln. Die Originalität des Buches liegt in der Zusammenführung deutsch-polnischer und deutsch-französischer Diskurse, die ansonsten häufig nur wenige Interferenzen aufweisen. Mit Ausnahme des Beitrags von Tomasz Schramm sind dabei die meisten Texte „von Deutschland aus“ gedacht. Dabei sind natürlich, und das zeigen die reflektierten Beiträge in diesem Band sehr deutlich auf, auch in Zeiten der viel betonten Europäisierung und Globalisierung nach wie vor auch Frankreich und Polen eigenständige Akteure mit eigenen Interessen und einer eigenen Einbindung in komplexe Beziehungsverflechtungen.

Tobias Weger, Oldenburg

Zitierweise: Tobias Weger über: Deutschland – Frankreich – Polen seit 1945. Transfer und Kooperation. Hrsg. von Corine Defrance / Michael Kißener / Jan Kusber / Pia Nordblom. Bruxelles [usw.]: Peter Lang, 2014. 291 S., 10 Graph. = L’Allemagne dans les relations internationales – Deutschland in den internationalen Beziehungen, 6. ISBN: 978-2-87574-209-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Weger_Defrance_Deutschland_Frankreich_Polen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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