Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 3 (2013), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Joachim von Puttkamer

 

Alexander Maxwell: Choosing Slovakia. Slavic Hungary, the Czechoslovak Language and Accidental Nationalism. London, New York: Tauris Academic Studies, 2009. XIII, 262 S., Abb., Ktn., Tab. = International Library of Political Studies, 37. ISBN: 978-1-84885-074-3.

Moderne Nationen mögen erfunden sein, planbar sind sie nicht. So lautet das Ergebnis der vorliegenden Studie zu den Ursprüngen des slowakischen Nationalismus, die auf die Dissertation des Autors im Jahr 2003 zurückgeht. Der im Kreise europäischer Nationen für selbstverständlich gehaltene partikulare slowakische Nationalismus, so die These, war vielmehr das Ergebnis einer Kette kontingenter, unvorhersehbarer und keineswegs geradliniger Entwicklungen. An deren Anfang stand die früh gescheiterte, als Hungarismus in die Literatur eingegangene Idee einer ungarländischen politischen Nation, die verschie­dene Sprachnationen unter ihrem Dach vereinigen sollte. Der magyarische Sprachnationalismus mit seinem propagierten Assimilationsdruck machte solchen Vorstellungen auf ungarischer Seite bekanntermaßen schon in der Reformära ein rasches Ende. Als Hungaro-Slawismus lebte dieses Leitbild auf slowakischer Seite jedoch bis zum Ende der Habsburgermonarchie fort, wie Maxwell anhand einer Vielzahl von Zitaten von Samuel Hojč über Jozef Hurban, Michal Hodža und Ľudovít Štúr bis hin zu Milan Hodža sowie den Hlasisten nachweisen kann, und wirkte auch in der tschechoslowakischen Nationsidee noch nach. Nur unter den extremen Bedingungen des Frühjahrs 1849 hätten sich slowakische Nationalpolitiker notgedrungen kurzzeitig auf eine slowakische Eigenstaatlichkeit eingelassen. Ihr eigentliches Leitbild blieb jedoch bis in den Ersten Weltkrieg hinein die Vision einer sprachlich pluralen, ungarischen Nation, die auch die nationale Eigenart der sie konstituierenden Völker anzuerkennen bereit war. Als loyale Bürger des gemeinsamen ungarischen Vaterlandes sahen sie sich bis 1914 als slavophone Ungarn.

Diese These bildet den Rahmen einer im Kern sprachhistorischen Argumentation. Denn das Postulat einer eigenständigen slawischen Nation innerhalb Ungarns, das slowakische Intellektuelle in der Abwehr staatlichen Assimilationsdrucks formulierten, zielte mitnichten auf deren spezifisch slowakischen Charakter. Vielmehr ruhte es auf den all-slawischen Ideen slawischer Wechselseitigkeit, wie sie insbesondere von Jan Kollár propagiert wurde. Kundig zeigt Maxwell die vielfältigen Debatten auf, die in diesem Rahmen über die Orthographie des Slowakischen geführt wurden. Engagiert räumt er dabei mit der älteren Vorstellung auf, die Bernolákovčina sei an ihrer Herkunft aus westslowakischen Dialektformen gescheitert. Vielmehr habe sie die protestantische, tschechisch orientierte Bibličtina nicht zu verdrängen vermocht. Erst Ľudovít Štúr habe diese konfessionellen Beschränkungen überwunden, und auch dies erst, nachdem er sich nach massiver Kritik aus den eigenen Reihen und nach den Enttäuschungen der Jahre 1848/49 auf die Kompromisslinie der Hattalovčina eingelassen habe. Selbst diese habe sich jedoch erst in den 1860er Jahren dauerhaft etablieren können, und auch dies nur in den überschaubaren Zirkeln einer schmalen slowakischen Bildungsschicht. Die Verankerung in einem breitenwirksamen Schulwesen blieb ihr angesichts der sprachlich repressiven ungarischen Schulpolitik der Ausgleichsepoche versagt. Somit konnte sich die bis heute gültige Hattalovčina erst in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit durchsetzen, und auch dies nur deshalb, weil deren Begründer gar nicht erst den Versuch unternahmen, das Tschechische doch noch auch in der Slowakei als Schriftsprache zu etablieren. Die Idee des Tschechoslowakismus habe das entstehende Schulwesen in der Slowakei schlichtweg überfordert. Indem ihre Vorkämpfer die Entstehung einer sprachlich eigenständigen und jetzt auch gesellschaftlich artikulierten slowakischen Mittelschicht duldeten, legten sie in dieser Lesart letztlich selbst die Axt an ihr Projekt einer gemeinsamen politischen tschechoslowakischen Nation. Die ursprünglich zur Überwindung konfessioneller Spaltungen im hungaro-slawischen Geist entwickelte Hattalovčina wurde so gewissermaßen zum Spaltpilz der tschechoslowakischen Idee.

Maxwell zielt auf einen radikalen Bruch mit liebgewordenen nationalen Traditionen der slowakischen Historiographie. Engagiert arbeitet er sich an nicht mehr ganz frischen Autoritäten ab, etwa, wenn er Daniel Rapant entgegenhält, der slowakische Hungaro-Slawismus sei nicht als Überhang aus dem späten 18. Jahrhundert, sondern als stabile Reaktion auf den sprachlichen Assimilierungsdruck von ungarischer Seite zu werten, oder wenn er Miroslav Hrochs Phasenmodell aufgreift, um zu zeigen, dass dieses nicht zwingend auf das Ziel staatlicher Unabhängigkeit hinauslaufen müsse. Sich selbst beschreibt Maxwell denn auch erklärtermaßen als häretisch: Štúr sei kein slowakischer Nationalist gewesen, habe er doch weder an eine slowakische Nation noch an eine slowakische Sprache geglaubt (S. 139). Deshalb sei er im Grunde nicht als verhinderter Garibaldi zu sehen, sondern als ein früher Bürgerrechtsaktivist im Sinne Martin Luther Kings (S. 66). Seine Provokation spitzt Maxwell auch deshalb zu, weil er im Grunde wenig neues Material zu bieten hat. Zwar kann er zeigen, wie schwer sich slowakische Sprachreformer im ungarischen Vormärz taten, halbwegs konsistente politische Vorstellungen zu artikulieren; ansonsten ordnet er jedoch vor allem gut Bekanntes in neue, überraschende, über weite Strecken auch überzeugende Zusammenhänge ein. Konsequent zeigt er den politischen Gehalt von Sprachdebatten auf, beweist dabei großes Gespür für die begrifflichen Unschärfen zeitgenössischer Texte bis in ihre teils absurden Verästelungen hinein und entwickelt daraus Kernbestandteile seiner Argumentation. Allein die Vision eines polyethnischen, zunächst hungaro-slawischen, später tschechoslowakischen Nationalismus wirkt denn doch reichlich idealisierend. Zwar geht Maxwell überzeugend davon aus, dass auch langfristige politische Ziele nicht rückwärts in die Vergangenheit projiziert werden dürfen, sondern aus dem konkret ausformulierten historischen Material hergeleitet werden müssen, da nur dieses den zeitgenössischen Horizont auszuleuchten vermag. Dennoch waren die hungaro-slawischen, polyethnischen Nationsvorstellungen, die er in den slowakischen Debatten aufzeigt, den konkreten politischen Umständen der späten Habsburgermonarchie geschuldet. Die Probe darauf, ob sie auch in der Krise eigene Gestaltungskraft hätten entfalten können, wurde gar nicht erst gemacht.

Das vorliegende Buch reiht sich konsequent und überzeugend in eine Nationalismusforschung ein, welche die Kategorien des Nationalen nicht als gegeben annimmt, sondern deren Entstehung radikal zum Gegenstand eigener Untersuchung macht. Zugleich knüpft es an Forschungen an, welche das Aufkommen eines genuin slowakischen Nationalismus erst auf die frühe Tschechoslowakei datieren. Es ist ein mitunter sperriges, jedoch bis in die Details hinein in hohem Maße inspirierendes Buch. Ob sich mit solchen Thesen noch provozieren lässt, sei dahin gestellt; fruchtbar sind sie allemal.

Joachim von Puttkamer, Jena

Zitierweise: Joachim von Puttkamer über: Alexander Maxwell: Choosing Slovakia. Slavic Hungary, the Czechoslovak Language and Accidental Nationalism. London, New York: Tauris Academic Studies, 2009. XIII, 262 S., Abb., Ktn., Tab. = International Library of Political Studies, 37. ISBN: 978-1-84885-074-3, http://www.oei-dokumente.de/JGO/erev/von_Puttkamer_Maxwell_Choosing_Slovakia.html (Datum des Seitenbesuchs)

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