Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 3, S.  433-433

Vladimir O. Michnevič Russkaja ženščina XVIII sto­letija. Izdat. Kučkovo pole Moskva 2007. 255 S., zahlr. Abb. ISBN: 978-5-901679-47-4.

Wem Autor und Werk kein Begriff sind, könnte zunächst versucht sein zu meinen, es handle sich um ein aktuelles Buch zur Stellung der russischen Frau im 18. Jahrhundert. Ein solches wäre in der Tat hochwillkommen, denn das 18. Jahrhundert ist in dieser Hinsicht noch keineswegs erschöpfend erforscht worden. Es handelt sich hier jedoch um die Wiederauflage eines Werkes, das 1895 in Kiev erschienen ist und 1990 bereits von einem anderen Moskauer Verlag als Reprint herausgebracht wurde, damals deutlich als solcher erkennbar. In der vorliegenden Ausgabe wird, wie bereits in den Ankündigungen, mit keinem Wort auf das ursprüngliche Erscheinungsjahr hingewiesen, ebenso fehlt eine Einführung in Autor und Werk. In den letzten Jahren sind auf diese Weise in Russland viele Werke der vorrevolutionären Historiographie mit minimalem Aufwand wieder aufgelegt worden.

Die Stellung der Frau in der russischen Geschichte war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Gefolge der virulenten „Frauenfrage“ ein die Gesellschaft interessierendes Thema, das kontrovers diskutiert wurde. Mehrheitlich herrschte jedoch die – irrige – Meinung vor, in der Moskauer Periode habe sich die Stellung der Frau gegenüber der Kiever Zeit massiv verschlechtert. Auf dieser Negativfolie des angeblich asiatischen Moskauer Reiches erschienen die Änderungen unter Peter I. in hellem Licht.

Vladimir O. Michnevič (1841–1899), Schrift­steller und Feuilletonist, war ein Autor, der damals schon in der petrinischen Zeit keinen radikalen, positiv gewerteten Bruch zur Moskauer Periode sah, sondern die Kontinuität der Veränderungen betonte. Er vertrat dezidiert den Standpunkt, dass der Unterschied zwischen den beiden Perioden bei weitem nicht so groß gewesen sei, wie dies die Westler und die Slavophilen darstellten. Im hier besprochenen Werk hebt er zunächst hervor, dass die Frauen der Moskauer Rus’ beileibe nicht so schlechte Eigenschaften gehabt hätten, wie es sich seine Zeitgenossen vorstellten. Im Gegenteil, erst die traditionellen, guten russischen Charakteristika vieler Frauen (wie Lebhaftigkeit, Energie, Begabung, Einfühlungsvermögen) führten seiner Meinung nach dazu, dass die europäische Bildung im 18. Jahrhundert Früchte tragen konnte.

Das erklärte Anliegen seines Buches ist es, den Idealtypus der russischen Frau im 18. Jahrhundert in seinen wichtigsten Zügen zu zeichnen, den weiblichen Lebensweg aufzuzeigen und die intellektuelle und gesellschaftliche Bedeutung der Frauen offenzulegen. Dabei will der Autor vor allem die hellen Seiten beleuchten, da seiner Meinung nach die Forschung bis dahin genug schwarz gemalt hatte. In 17 Kapiteln stellt er verschiedene Facetten weiblichen Lebens in den gehobenen Schichten dar: Kindheit, Jugend, Eheleben, Mutterschaft, gesellschaftliches Leben, die Frau als Hausherrin und Gutsbesitzerin, Schriftstellerin, Wissenschaftlerin, Schauspielerin, Wohltäterin und Einsiedlerin. Im Kapitel „Soubrette“ kommt die Rede auf das Schicksal der Bediensteten auf den Gutshöfen und auf die Rolle dieses Typus in der Komödie. Auch ein Porträt der Kaiserin Marija Fedorovna, der Mutter Alexanders I., ist zu finden. Die große Bandbreite der dargestellten weiblichen Aktivitäten zeigt, dass der Autor den Frauen in vielen Bereichen Fähigkeiten zusprach.

Für seine Untersuchung benutzte Michnevič Akten, Memoiren, Briefwechsel, Reiseberichte, Publizistik – Quellen, aus denen er auch ausgiebig zitiert. Insgesamt ist das Werk vor allem historiographisch interessant, durch die große Quellennähe aber durchaus eine anregende Lektüre.

Nada Boškovska, Zürich

Zitierweise: Nada Boškovska über: Vladimir O. Michnevič Russkaja ženščina XVIII stoletija. Izdat. Kučkovo pole Moskva 2007. ISBN: 978-5-901679-47-4, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 3, S. 433-433: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Boskovska_Michnevic_Russkaja_zenscina.html (Datum des Seitenbesuchs)