Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Ausgabe: 60 (2012), H. 3, S. 440-441
Verfasst von: Peter Hoffmann
Ingrid Kästner / Marina Sorokina: Homöopathie im postrevolutionären Russland und der UdSSR. Nach Dokumenten aus dem Archiv des russischen Homöopathen N. E. Gabrilovič (1865–1941). Essen: KVC Verlag, 2010. XVI, 328 S. = edition forschung. ISBN: 978-3-86864-000-7.
Nikolaj Evgen’evič Gabrilovič war Augenarzt und zugleich überzeugter Homöopath. Sein Archiv, das über viele Jahrzehnte in der Familie aufbewahrt worden war, wurde 1990 dem staatlichen Archivfonds Russlands übergeben. Die vorliegende Publikation wertet die Materialien dieses Aktenbestandes aus. Auf der Buchrückseite heißt es dementsprechend: „Aus diesem umfangreichen Fundus legen sie (die Herausgeberinnen – P.H.) eine kommentierte Auswahl wichtiger Dokumente vor, welche die historische Entwicklung der Homöopathie im russischen Zarenreich und in der Sowjetunion belegen.“
Im größeren Zusammenhang hat über die Entwicklung der Homöopathie in Russland im 19. Jahrhundert schon früher eine der Autorinnen in einem umfangreichen Aufsatz informiert, der zusätzliche Hintergrundinformationen bietet (M. Ju. Sorokina: Gegner und Mäzene. Aus der Geschichte der Moskauer Homöopathie im 19. und 20. Jahrhundert, in: Ingrid Kästner, Regine Pfrepper (Hrsg.): Deutsche im Zarenreich und Russen in Deutschland: Naturforscher, Gelehrte, Ärzte und Wissenschaftler im 18. und 19. Jahrhundert. Aachen 2005, S. 185 ff). Von Deutschland aus hatte sich die Homöopathie als eine spezielle medizinische Disziplin seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in Russland ausgebreitet, seit 1868 gab es die St. Petersburger Homöopathische Gesellschaft. Im Nachlass von Nikolaj Evgen’evič Gabrilovič, seit 1894 Mitglied und später Vorsitzender dieser Gesellschaft, haben sich die Protokolle der Sitzungen vollständig erhalten.
Unabhängig von der medizinischen Problematik, die hier nicht zu erörtern ist, bietet die vorgelegte Publikation verschiedene allgemeine Einsichten in die Geschichte Russlands, die teilweise gängigen Vorstellungen zu widersprechen scheinen. So wurde schon bald nach der Februarrevolution das „Homöopathische Krankenhaus zum Andenken an Aleksandr II.“ in St. Petersburg beschlagnahmt und enteignet (S. 13); bei der Verstaatlichung der Apotheken nach der Oktoberrevolution im Frühjahr 1918 wurden die homöopathischen Apotheken nicht erfasst (S. 16).
In den Wirren der Revolutionszeit hatten die homöopathischen Gesellschaften in Russland ihre Tätigkeit eingestellt. Schon 1918 gab es Diskussionen auf Regierungsebene über den Charakter der Homöopathie, nach denen letztlich die weitere Arbeit homöopathischer Ärzte toleriert wurde. Seit 1923 organisierten sich die homöopathischen Ärzte in Russland wieder in eigenen Organisationen, in denen Gabrilovič führende Funktionen übernahm. Das erste Kapitel gibt einen Überblick über die Entwicklung der Homöopathie in Russland vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Mitte der zwanziger Jahre unter besonderer Berücksichtigung der Rolle N. E. Gabrilovičs. Für die dreißiger und vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts wird keine zusammenfassende Darstellung geboten; es werden verschiedene Dokumente aus dem Archiv Gabrilovičs veröffentlicht: Reden und Aufsätze zu verschiedenen übergreifenden Themen sowie Briefe von und an Gabrilovič.
Die ungewöhnliche Gestaltung des Buches ist zumindest erwähnenswert: Die Darlegungen werden zuerst in deutscher Sprache gebracht, anschließend in russischer Fassung (wobei häufig das Russische die Vorlage zu sein scheint). Dementsprechend gibt es zwei Inhaltsverzeichnisse, erst ein deutsches, dann ein russisches mit unterschiedlichen Seitenangaben. Der als Kapitel 3 veröffentlichte Briefwechsel mit russischen Korrespondenzpartnern wird erst in deutscher Übersetzung, dann im russischen Original gebracht, Kapitel 4 ist überschrieben: „Briefwechsel mit ausländischen Korrespondenzpartnern: sowjetische Homöopathen und die Liga Medicorum Homoeopathica internationalis“. In diesem Teil werden die Briefe nur in der Originalfassung (französisch, deutsch und englisch) ohne Übersetzung veröffentlicht.
Zitierweise: Peter Hoffmann über: Ingrid Kästner / Marina Sorokina: Homöopathie im postrevolutionären Russland und der UdSSR. Nach Dokumenten aus dem Archiv des russischen Homöopathen N. E. Gabrilovič (1865–1941). Essen: KVC Verlag, 2010. XVI, 328 S. = edition forschung. ISBN: 978-3-86864-000-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hoffmann_Kaestner_Homoeopathie_im_postrevolutionaeren_Russland.html (Datum des Seitenbesuchs)
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