Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 5 (2015), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Ernst Wawra
Sergei Khrushchev / Timothy S. Benson: Drawing the Curtain. The Cold War in Cartoons. London: Fontanka, 2012. 192 S., 176 Abb. ISBN: 978-1-906257-06-4.
„A shadow has fallen upon the scenes so lately lighted by the Allied victory. Nobody knows what Soviet Russia and its Communist international organization intends to do in the immediate future […]. […] From Stettin in the Baltic to Trieste in the Adriatic, an iron curtain has descended across the Continent. […] Whatever conclusions may be drawn from these facts – and facts they are – this is certainly not the Liberated Europe we fought to build up.“ (Winston S. Churchill: His Complete Speeches 1897–1963. Volume 7: 1943–1949. London, New York 1974, S. 7285–7293, S. 7290–7291).
Soweit Winston S. Churchills berühmte Einschätzung vom 5. März 1946 anlässlich seiner Rede The Sinews of Peace in Fulton am Westminster College. Doch trotz der bei dieser Gelegenheit ebenfalls geäußerten „strong admiration and regard“ für Iosif Stalin reagierte dieser darauf am 14. März 1946 auf der ersten Seite der Pravda mit einem Vergleich Churchills mit Hitler, ohne jedoch auf den Vorwurf der Errichtung des iron curtain direkt einzugehen. Die Karikaturisten nahmen sich hingegen sehr bald dieser Metapher an, wie beispielsweise Boris E. Efimov in seiner Karikatur Vystuplenie v Fultone. Čerčill’ i ego predšestvenniki – Der Auftritt in Fulton. Churchill und seine Vorgänger (1946). Darin trägt Churchill vor einem Mikrophon stehend in seiner rechten Hand eine Fahne mit der Aufschrift „Eiserner Vorhang über Europa!“, in der linken eine mit der Aufschrift „Die Angelsachsen sollten die Welt beherrschen!“. Auch der von Stalin angeführte Vergleich taucht in der Darstellung von Hitler und Goebbels als Schatten Churchills auf.
Die erwähnte Karikatur findet sich neben 179 anderen in der Sammlung Drawing the Curtain. The Cold War in Cartoons (S. 42). Eingeleitet wird diese von vier knappen Beiträgen: Nach einer sehr kurzen und wenig aussagekräftigen Einführung von Sergej N. Chruščev über A Visual History of the Cold War (S. 8–9) schließt sich The Cartoonists’ Cold War (S. 11–19) von Timothy S. Benson an, der bereits mehrere Sammlungen von Karikaturen, zum Beispiel über Sir David A. C. Low, veröffentlicht hat. In seinem anschaulichen Beitrag lässt er auch einzelne herausragende Karikaturisten östlich und westlich des Eisernen Vorhanges zu Wort kommen und gibt einen Einblick in deren Arbeitsbedingungen unter der staatlichen Zensur bzw. den (politischen) Vorgaben der Zeitungsherausgeber sowie in die vorherrschenden Motive bezüglich des jeweiligen weltanschaulichen Gegners. Dabei liegt sein Fokus nicht nur auf dem sehr bekannten Boris Efimov, sondern auch auf der Gruppe Kukryniksy – mit Michail V. Kuprijanov, Porfirij N. Krylov und Nikolaj A. Sokolov – oder eben auf David Low und Herbert L. Block, als Vertreter der „westlichen“ Karikaturisten. Polly Jones’ Beitrag beschäftigt sich hingegen mit Soviet Images of the West after the Second World War (S. 21–29). Vollkommen zu Recht verweist sie dabei auf die Ursprünge der Feindbilder in der Zeit des russischen Bürgerkrieges und der vorherrschenden Vorstellung, von Feinden eingekesselt zu sein – Bilder, auf die man nach dem „Großen Vaterländischen Krieg“ im aufkommenden Kalten Krieg rekurrieren konnte. Jones stellt dabei verschiedene Themen, beispielsweise die Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung oder das Problem der Massenarbeitslosigkeit in den USA, an Beispielen sowjetischer Karikaturisten vor. Den Abschluss der Beiträge bildet eine kurze Kommentierung des Cartooning under Communism (S. 31) von Igor’ A. Smirnov, der selbst seit den siebziger Jahren als Karikaturist tätig ist.
Den Hauptteil des Bandes bilden die Abbildungen von 75 Karikaturen sowjetischer Künstler, welche in chronologischer Abfolge farbig und meist ganzseitig abgedruckt sind und denen eine bzw. mehrere Karikaturen zu einem gleichen oder verwandten Thema aus der Hand eines amerikanischen bzw. britischen Künstlers gegenübergestellt werden. Thematisiert werden u. a. der Zerfall der Anti-Hitler-Koalition, der Marshall-Plan, der Korea- und Vietnam-Krieg, die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, das Wettrüsten sowie der Wettlauf ins All. Zusätzlich haben die Autoren Frank Althaus, Dmitri Antonov, Elena Antonova, Timothy S. Benson, László Borhi und Mark Sutcliffe zu den Karikaturpaaren einen kurzen einführenden Kommentar verfasst. Am Schluss findet sich ein Index. Eine zumindest kurze Einführung zu Biographie und Werk der jeweiligen Karikaturisten sucht man leider vergebens.
Selbstverständlich kann eine Auswahl von 75 sowjetischen Karikaturen über einen derartig langen Zeitraum nicht vollständig sein, dennoch vermisst man einzelne Phasen des Kalten Krieges. Zum gesamten KSZE-Prozess etwa findet man nur einen Satz (S. 151). Aber auch die grundsätzliche Herangehensweise kann nur bedingt überzeugen: Letztlich werden nur die beiden Supermächte – inklusive Großbritanniens – berücksichtigt; die anderen „westlichen“ NATO-Länder oder Warschauer Pakt-Staaten fehlen. Nähme man den Titel des Bandes beim Wort, stellte sich doch zwangsläufig die Frage, wie der Eiserne Vorhang in den Ländern, die direkt an ihm lagen oder von ihm zerschnitten wurden, dargestellt worden ist. Unverständlicherweise wurde weiterhin darauf verzichtet, den ursprünglichen Publikationsort der Karikaturen in allen Fällen zu recherchieren und vollständig anzugeben. Zusätzlich wäre eine über die spärlichen Angaben aus den Einführungsbeiträgen hinausgehende Auflistung von weiterführender Literatur sowie von Sammlungen von und über einzelne Künstler, wie es sie beispielsweise von Efimov zahlreich gibt, wünschenswert gewesen.
So überwiegt doch, trotz der meist informativen Kommentare und eines gelungenen Layouts, ein äußerst ambivalenter Eindruck.
Zitierweise: Ernst Wawra über: Sergei Khrushchev / Timothy S. Benson: Drawing the Curtain. The Cold War in Cartoons. London: Fontanka, 2012. 192 S., 176 Abb. ISBN: 978-1-906257-06-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Wawra_Khrushchev_Drawing_the_Curtain.html (Datum des Seitenbesuchs)
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