Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 3 (2013), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Martin Zückert
Jaroslav Šebek: Sudetendeutscher Katholizismus auf dem Kreuzweg. Politische Aktivitäten der sudetendeutschen Katholiken in der Ersten Tschechoslowakischen Republik in den 30er Jahren. Münster 2010. 304 S. = Kirche und Gesellschaft im Karpaten-Donauraum, Bd. 2. ISBN: 978-3-8258-9433-7.
Bis in die Gegenwart hinein wird intensiv darüber diskutiert, wie die Rolle des katholischen Milieus innerhalb der deutschen Bevölkerung der Tschechoslowakei in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre zu bewerten ist. Im Zentrum steht dabei die Frage nach Nähe und Distanz dieses Milieus zum nationalsozialistischen Deutschland vor der Besetzung der tschechoslowakischen Grenzregionen infolge des „Münchener Abkommens“ von 1938 wie auch in der Folgezeit im „Reichsgau Sudetenland“. Darüber hinaus geraten in den Debatten auch die längerfristigen Entwicklungen im politischen Katholizismus seit dem Ende des Ersten Weltkriegs in das Blickfeld. Der Prager Historiker Jaroslav Šebek hat hierzu einen Band vorgelegt, in welchem er die politischen Aktivitäten der sudetendeutschen Katholiken in der Zwischenkriegszeit untersucht. Es handelt sich dabei um die übersetzte und überarbeitete Version seiner im Jahr 2006 auf Tschechisch veröffentlichten Studie „Mezi křížem a národem“ (Zwischen Kreuz und Nation). Der Titel der tschechischen Erstfassung ist insofern prägnanter als der etwas irritierende Titel der deutschen Übersetzung, als er auf den Kern der Untersuchung verweist: Analysiert wird die Entwicklung des politischen Katholizismus und der katholischen Verbände innerhalb der deutschen Bevölkerung der Tschechoslowakei zwischen nationalisierenden Bestrebungen und Versuchen, das katholische Milieu zu festigen. Innerkirchliche Entwicklungen werden nur am Rande in die Erzählung integriert.
Im ersten Hauptkapitel schildert der Autor, wie sich die „Deutsche Christlich-Soziale Volkspartei“ (DCV) nach der Entstehung der Ersten Tschechoslowakischen Republik etablierte. Aufgrund der insbesondere für Böhmen zu konstatierenden Schwäche des politischen Katholizismus vor 1918 stand die Partei vor einer schwierigen Ausgangslage. Neben der Unterstützung durch die Kirchenhierarchie – der Prager Weihbischof Wenzel Frind initiierte 1919 ein vorbereitendes Treffen zur Parteigründung – wirkte sich das Umfeld von kirchlichen Vereinen und Verbänden stabilisierend aus. Für die 1920er Jahre kann Šebek ein vorsichtiges Bekenntnis der DCV zur Ersten Tschechoslowakischen Republik feststellen. Zeitgleich zeigten sich in der DCV antisemitische Strömungen.
Das gemeinsame Bestreben, den Katholizismus gegen Säkularisierungstendenzen zu stärken, einte den deutschen, tschechischen und slowakischen Katholizismus letztlich nicht. Dies wird im zweiten Kapitel deutlich, in dem die gescheiterten Fusionsanstrengungen der drei national organisierten Volksparteien dargestellt werden. Neben dem Übergewicht der nationalen Ausrichtung innerhalb des deutschen und tschechischen politischen Katholizismus spielte hierbei die zunehmend autonomistische Ausrichtung der Slowakischen Volkspartei eine wichtige Rolle.
Im dritten Kapitel analysiert Šebek die Veränderungen, die sich durch die nationalsozialistische Machtübernahme im benachbarten Deutschland ergaben. Das deutsche katholische Milieu in der Tschechoslowakei erlebte nach 1933 in zunehmendem Maße Richtungskämpfe. Neben befürwortenden Stimmen zu Hitlers Kurs wurden gerade in ländlichen Regionen sehr kritische Stimmen zur Kirchenpolitik in Deutschland laut. Parallel dazu wuchs die Bedeutung des „Staffelsteins“, einer elitären, von jüngeren Akademikern geprägten katholischen Organisation, für die eine Melange aus Gedanken der katholischen Soziallehre und nationalistischen sowie antidemokratischen Ansätzen festzustellen ist. Folglich richtete sich der Blick vieler Staffelsteiner auf den österreichischen „Ständestaat“ wie auch auf den Theoretiker dieses Staatsmodells, den Wiener Soziologen Othmar Spann.
Das abschließende vierte Kapitel ist den Jahren zwischen dem Wahlsieg der Sudetendeutschen Partei (SDP) 1935 und dem Ende der Ersten Tschechoslowakischen Republik im Herbst 1938 gewidmet. Hier zeigt Šebek eindrucksvoll das Schwanken des deutschen politischen Katholizismus zwischen den verschiedenen politischen Strömungen. Neben einer starken Annäherung an den Kurs der sich immer mehr am deutschen Nationalsozialismus orientierenden Sudetendeutschen Partei gab es Versuche eines Kurswechsels innerhalb der DCV, durch den die aktive Mitarbeit im tschechoslowakischen Staat grundsätzlich bejaht werden sollte. Positive Reaktionen auf die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ im Jahr 1937 zeigen zudem noch im Jahr vor dem „Münchener Abkommens“ eine gewisse Distanz zum Nationalsozialismus. Diese Entwicklung muss vor dem Hintergrund der von Šebek dargestellten Einflussfaktoren betrachtet werden. Neben dem taktisch motivierten Versuch Henleins, den sudetendeutschen Katholizismus zu entpolitisieren, lässt sich eine immer stärker werdende Hinwendung jüngerer Katholiken zum nationalsozialistischen Deutschland konstatieren. Im Hintergrund agierte zudem weiterhin die Kirchenhierarchie der böhmischen Länder, die aufgrund der Erfahrung der Gründung der Tschechoslowakischen Kirche im Jahr 1920 ein weiteres Schisma in Form einer deutschen Nationalkirche fürchtete. Verschiedene Ansätze, einen eigenständigen Kurs innerhalb der Tschechoslowakei zu verfolgen, waren nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 hinfällig. Ende März 1938 wurde entschieden, dass die Abgeordneten der DCV der Sudetendeutschen Partei beitreten sollten. Die DCV selbst löste sich jedoch formal nicht auf. In der Folge kam es zur Auflösung und „Selbstgleichschaltung“ vieler kirchlicher Vereine und Verbände.
Die Sogwirkung der inzwischen offen nationalsozialistisch agierenden SDP führte innerhalb der katholischen Kirche im Laufe des Jahres 1938 zu Auseinandersetzungen, ausgelöst etwa durch den Parteibeitritt mehrerer deutscher Priesteramtskandidaten. Mit der Zerstörung der Tschechoslowakei im Herbst 1938 endete der Versuch des deutschen politischen Katholizismus, seine Interessen in der Verbindung von Glaube und Nation in einem demokratischen, multiethnisch geprägten Staat zu vertreten. Die folgende nationalsozialistische Herrschaft schuf dafür nicht die von vielen erhofften Möglichkeiten, sondern führte zur Gewaltherrschaft, die auch vor den Kirchen und ihren Vertretern nicht Halt machte.
Der Band von Jaroslav Šebek veranschaulicht in beeindruckender Weise die Entwicklung des deutschen politischen Katholizismus in der Tschechoslowakei. Hervorzuheben sind die zahlreichen Hinweise auf regionale Entwicklungen sowie das Bestreben, immer wieder Bezüge zur politischen und kirchlichen Gesamtentwicklung herzustellen. Etwas zu kurz kommt dabei die Einordnung in einen (mittel-)europäischen Kontext. So werden der „Allgemeine deutsche Katholikentag“ 1933 in Wien als Ort der transnationalen Vernetzung wie auch Kontakte zu anderen katholischen Parteien nur am Rande erwähnt. Auch wenn Šebek es nur zu Beginn explizit erwähnt, ist sein Buch auch die Geschichte eines Generationenkonfliktes. Immer wieder finden sich Hinweise auf Auseinandersetzungen über den politischen Kurs, die verschiedenen Altersgruppen und ihren Erfahrungsräumen zwischen später Habsburgermonarchie und den 1930er Jahren zuzuordnen sind. Diese Beobachtungen könnten womöglich als Ansatzpunkt dienen, die Geschichte der Ersten Tschechoslowakischen Republik aus einer neuen Perspektive zu erörtern.
Zitierweise: Martin Zückert über: Jaroslav Šebek: Sudetendeutscher Katholizismus auf dem Kreuzweg. Politische Aktivitäten der sudetendeutschen Katholiken in der Ersten Tschechoslowakischen Republik in den 30er Jahren. Münster 2010. 304 S. = Kirche und Gesellschaft im Karpaten-Donauraum, Bd. 2. ISBN: 978-3-8258-9433-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Zueckert_Sebek_Sudetendeutscher_Katholizismus.html (Datum des Seitenbesuchs)
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